Die Spinne und die Weisheit
Kwaku Ananse, das Spinnenmännchen, ärgerte sich schon
seit vielen Jahren
darüber, dass es unter den Menschen so viele weise Männer
gab.
Er beschloss deshalb, alle Weisheit zu sammeln und für sich und seine
Nachkommen aufzubewahren. Zu diesem Zweck holte er sich aus seinem
Hause einen
großen Tonkrug; den gedachte er mit Weisheit anzufüllen.
Viele Jahre zog er durch die Lande und stellte Mensch
und Tier die
schwierigsten Fragen. Erhielt er eine kluge Antwort, so öffnete er
schnell den
Deckel seines Kruges und flüsterte sie zum Staunen seiner Zuhörer
hinein.
Als er endlich glaubte, alle Weisheit dieser Welt gesammelt zu haben,
machte er sich auf den weiten Weg in die Heimat.
"Kwaku Ananse ist nun weiser als die Götter", sang er viele Tage lang vor sich
hin, bis er endlich die runden Hütten seiner Heimatdorfes erblickte.
Da er fürchtete, man könnte ihm im Dorf seinen kostbaren Schatz stehlen,
beschloss er, ihn zunächst einmal für ein paar Tage im Wald zu verbergen.
Nach der ersten Wiedersehensfreude wollte er heimlich seine Familie zu
seinem Versteck führen und sie die Weisheit der Welt in sich aufnehmen lassen.
"Wo verberge ich nur meinen Krug", murmelte er vor sich hin und hielt
Ausschau nach einem geeigneten Versteck. Lange überlegte er hin und her
und entschied sich schließlich für einen hohen Kazaurabaum, in dessen
obersten Ästen er die Weisheit dieser Erde aufhängen wollte.
Er ergriff seinen Krug, band ihn sich mit Schlingpflanzen vor den Bauch und
versuchte nun, an dem dicken Stamm empor zu klettern. Weil aber der
Krug einen zu großen Umfang hatte, konnte er mit seinen Arme und Beinen
die Rinde des Baumes nicht erreichen
So mühte sich Kwaku Ananse drei Tage vergeblich, die gesammelte
Weisheit in die luftige Höhe des alten Kazaurabaumes zu bringen. Schon
unzählige Male war er auf den Rücken gefallen und hatte sich dabei die Haut
abgerissen, die nun in großen Fetzen herunterhing. Trotz seiner Schmerzen
und trotz seines großen Hungers kämpfte er verbissen weiter und vergaß
dabei völlig, dass er für sein Gefäß wohl noch andere sichere Stellen im Wald
hätte finden können.
Während er wieder einmal auf dem Rücken lag und hilflos mit den Beinen
in der Luft strampelte, kam ein Hase vorbei und beobachtet das Treiben
Kwaku Ananses. Als er endlich wieder auf den Füßen stand, versuchte er
wohl zum tausendsten Mal sein Ziel zu erreichen.
Der Hase war ein gutmütiger Kerl, und so beschloss er, dem sich abmühenden
Freund zu helfen.
"Guten Abend, Kwaku Ananse", sagte er freundlich. Bei diesen Worten schrak
Kwaku Ananse so heftig zusammen, dass er wieder auf dem Rücken fiel und
mit seinem Krug vor dem Bauch in den Abendhimmel starrte. Der Hase sprang
schnell herbei und befreite den armen Kwaku aus seiner hilflosen Lage.
"Was hast du denn in deinem Krug?", fragte er ihn.
"Das kann ich dir nicht verraten", erwiderte Kwaku Ananse. "Wenn ich dir die
Wahrheit sage, müssen wir beide auf der Stelle sterben."
"Nun, dann will ich dieses Geheimnis nicht wissen. Ich habe dir eine Zeitlang
zugesehen, wie du dich vergeblich abgemüht hast, deinen bauchigen Krug auf
den Baum zu bringen. Wäre es nicht einfacher, wenn du dir das Gefäß auf
deinen Rücken bändest?"
"Was sagst du da?" schrie Kwaku Ananse. "Ich dachte, ich hätte alle Weisheit
dieser Welt in meinem Krug eingefangen, und jetzt sehe ich, dass es immer
noch klügere Leute als mich gibt."
Bei diesen Worten riss er sich seine schwere Last vom Bauch und schleuderte
sie mit solcher Gewalt an den Kazaurabaum, dass der Krug in tausend
Scherben zersprang.
Liebe Laura,
AntwortenLöschendas ist eine wunderbare Geschichte, danke dir!
Lieben Gruss Elke