Sonntag, 21. März 2021

Das verlorene Paradies

 

Das kleine Dorf befand sich in einem weitläufigen Tal, umgeben von dichten Wäldern. Es ging friedlich zu in diesem Dorf. Die Menschen lebten schon seit Generationen dort und kannten einander. Sie alle liebten die Natur, den Wald mit seinen Rehen, Wildschweinen und Füchsen. Sie liebten die Vögel, die ihnen mit ihrem Gesang in den warmen Monaten des Jahres viel Freude bereiteten und die Eichhörnchen, die in den Bäumen zu beobachten waren. Auf den Feldern, die bis an den Rand der Wälder reichten, wurde Weizen und Gemüse angebaut. Die Bewohner des Dorfes waren glücklich und zufrieden. Für sie war das kleine Dorf ihre Heimat, ihr kleines Paradies, in dem sie ein ruhiges, beschauliches und bescheidenes Leben führten. Und so vergingen die Jahre.

Ein paar der gemütlichen Häuser standen inzwischen leer, weil die Alten gestorben waren und sich niemand fand, der dort einziehen wollte. Doch das Leben der Dorfbewohner ging wie gewohnt weiter, bis eines Tages fremde Menschen auftauchten und sich interessiert in diesem kleinen Dorf umschauten. Sie kamen aus der Stadt, erfuhr eine alte Dorfbewohnerin, und interessierten sich für die leerstehenden Häuser, um in diesem kleinen Dorf zu leben, weil es ihnen in der lauten, hektischen Stadt nicht mehr gefiel. Das Leben in der Stadt, so erzählten die Fremden, sei außerdem nicht mehr sicher. Viele fremde Menschen aus fernen Ländern würden sich jetzt in der Stadt aufhalten und für Unruhe und Angst unter den Stadtbewohnern sorgen. Deshalb hätten sie sich entschlossen aufs Land umziehen.

Und tatsächlich, ein paar Wochen später zog die erste Familie in eins dieser gemütlichen Häuser, die alle von einem großen Garten mit altem Baumbestand, vielen Sträuchern, bunten Blumen und immergrünen Pflanzen umgeben waren.

Die alten Dorfbewohner sahen staunend zu, wie ein Haus nach dem anderen verkauft und von Menschen aus der Stadt bezogen wurde. Ihr eigenes Leben geriet dadurch völlig aus dem gewohnten Rhythmus. Sie waren Ruhe und Stille gewohnt. Sie hatten ihre Gewohnheiten. So gönnten sie sich in der Mittagszeit gerne mal ein Nickerchen unter einem der schattigen Bäume in ihren Gärten.

Doch mit der Ruhe war es nun vorbei. Viele der neuen Dorfbewohner hatten nichts Eiligeres zu tun, als viele der alten Bäume zu fällen. Sie wollten einen sonnendurchfluteten Garten. Außerdem verloren die Bäume im Herbst ihr Laub. Das bereitete zu viel Arbeit. Für sie gab es auch keinen Mittagsschlaf. Nach dem Mittagessen mähten sie lieber ihren Rasen oder griffen zum Hochdruckreiniger, um die Steinplatten der Terrasse zu säubern. Andere unterhielten sich abends laut oder drehten die Musik auf. Immer öfter hörte man Kettensägen oder das Hämmern und Sägen der Handwerker, weil einige der neuen Dorfbewohner die alten, gemütlichen Häuser unbedingt umbauen wollten.

Im Laufe der Zeit veränderte sich das Dorf zusehends. Nichts war mehr so, wie es einmal war.

Es war laut und hektisch geworden in dem kleinen Dorf. Das beschauliche Dorfleben hatte in kürzester Zeit bereits viel von seinem Charme, seiner Ruhe und Stille verloren. Die alten Dorfbewohner waren über diese neuen Zustände sehr traurig. Die fremden Menschen aus der Stadt nahmen darauf aber keine Rücksicht. Sie machten einfach so weiter, wie sie es aus der Stadt kannten und gewohnt waren.

Ruhe und Stille waren für die Stadtmenschen Fremdwörter. Sie hatten auch keinen Sinn für die Natur. Denn die traten sie mit Füssen. Sie wussten gar nicht zu schätzen, in welchem Paradies sie dort angekommen waren. Ihnen fehlte der Sinn für die Schönheit der Natur. Sie legten Mausefallen aus und stellten irgendwelche Geräte auf, mit denen Maulwürfe verscheucht werden sollten. Den Eichhörnchen wurde durch die gefällten Bäume der Lebensraum genommen. Auch die Vögelchen fanden immer weniger Möglichkeiten für ihren Nestbau. Von Hummeln, Bienen und anderen Insekten fühlten sich die neuen Dorfbewohner gestört und so versprühten sie irgendein Zeug, um die „Viecher“ wie sie sie nannten, aus ihren Gärten zu vertreiben. Durch die zunehmende Anzahl der Autos, wurde das Überqueren der schmalen Straßen, zu einer immer größer werdenden Gefahr.

Das Leben in diesem kleinen Dorf, das einst ein beschauliches, idyllisches Paradies war, erfuhr eine nie dagewesen Veränderung, von der es kein Zurück mehr gab. Das Schlimmste jedoch war, dass es in dem kleinen Dorf keineswegs mehr friedlich zuging. Die Bewohner des Dorfes wurden in die Alten und die Fremden aufgeteilt. Und so regten sich die Alten über die Fremden auf und Fremden über die Alten. Jeden Tag gab es Streitereien, sodass sie einfach nicht zusammenfinden konnten. Die Fremden nahmen keine Rücksicht auf die Alten und die Alten hatten kein Verständlich für die Rücksichtslosigkeit der Fremden und deren egoistisches Verhalten.

Es kehrte auch kein Frieden mehr in das kleine Dorf ein, welches einst ein Paradies war, als alle Alten verstorben waren. Die Fremden, die das kleine Dorf nun alleine bevölkerten, waren sich von Anfang an fremd und blieben es auch weiterhin.

 

 So wurde aus dem kleinen, idyllischen Dorf und dem beschaulichen und unbeschwerten Leben dort, ein fremder Ort, in dem es keinen Frieden, keine Ruhe und keine Stille mehr gab, weil jeder machte, was er wollte, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen.

Eigentlich wie im wahren Leben !

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© Ursula Evelyn

3 Kommentare:

  1. Hallo Laura,
    du schreibst: “Es ging friedlich zu in diesem Dorf. :::“
    Nun denn, ich kenne die Dorfgeschichten ein wenig anders.
    Früher: Da brauche ich nur meine Ortschaft nehmen. Zwei Ortsteile, der eine überwiegend katholisch, der andere überwiegend evangelisch. Allein dies ein großer Mentalitätsunterschied. Habe ich in meiner jüngeren Zeit ja selbst noch erlebt. War besonders in der Karnevalszeit offenkundig. Katholisch = frivol ausgelassen, evangelisch geht zum Lachen in den Keller.
    Bei den meisten „Alten“ hieß es immer bring mir ja keine Maid oder Kerl vom Nachbarort heim.
    Sonntags nach der Kirche in beiden Ortsteilen, die Tratschen in Aktion, blablabla weißt du schon die, der … auf den Festen ist genau geschaut worden wer mit wem getanzt, wie eng ...was hat der getrunken, waren es 5 Halbe oder gar 6, die Edeltraut hat – man glaubt es kaum – zwei Viertele geschlotzt. Und hast du gesehen wie die den Baldur angeschmachtet hat usw. usw.
    Ist ja heute noch so. Sehe ich immer wieder wenn sie zusammen stehen und rumtuscheln. Da könnte ich dir ganze Bücher füllen. Deswegen bin ich auch in keinem Verein.
    Trotzdem lebe ich lieber im Dorf. Nach dem Krieg sind ja viele „Fremde“ neu hinzu gezogen, da hat es sich etwas entspannt, da waren die Ureinwohner etwas verdünnt, da hatten sie dann gemeinsam wieder einen Feind, die Flüchtlinge. Das ist bis heute noch das Feindbild für Viele.
    Also überhaupt nichts von Dorfidylle. Der Vorteil für mich ist halt die Nähe zur Natur und zum Wald.
    Von wegen Naturliebe und Tierwohlwollen. Bis heute gibt es genug Bauern auf dem Land, da sind genug Umweltfrevler darunter wie sie im Buche stehn, mit Tierliebe nichts am Hut.
    Das andere Extrem sind die Städter. Siehe z.B. Oswald Spengler: Die Großstädte und das Geistesleben. Der verstädterter Landbewohner tickt im Grunde nicht viel anders, wie der ursprüngliche Stadtmensch. Brauche ich ja nur meinen Wohn - Weg nehmen, am Dorfrand, Sackgasse, also kein Durchgangsverkehr. Gegenüber drei neue Häuser, jedes keinen Vorgarten sondern nur Pflaster – Steine, keine Blumen, keine Sträucher etc. Links wie rechts, die Bewohner weggestorben, neue Nachbarn aber nicht unbedingt neues Glück. Jedenfalls war es vorher ruhiger und friedlicher.
    So viel dazu.
    VG
    Oskar

    PS. Noch eine Frage!! Wer ist denn Ursula Evelyn? Weil du diesen Namen oft einstellst.

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  2. Danke, lieber Oskar, für deinen Besuch und deine Kommentare. Derzeit wühle ich den ganzen Tag im Garten - jedenfalls so lange es trocken bleibt. Daher kommen meine Antworten mit etwas Verspätung in den nächsten Tagen - falls es dich dann noch interessiert.
    Also bis dahin habe eine gute Zeit ! Bin froh, dass du aus deinem Bücherberg aufgetaucht bist und dich mal wieder gemeldet hast. ;o)))

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  3. Auch mir ist das Dorfleben aus meiner Kindheit bekannt, lieber Oskar. Diese Geschichte hat mir meine "beste" Freundin erzählt, die ich dann ebenfalls für sie aufgeschrieben habe.
    Früher gab es zwar mehr Klatsch und Tratsch, aber die Menschen waren nicht so egoistisch und haben einander geholfen. In unserem Land spielt der Neid leider immer noch eine große Rolle. Allerdings kommt es auch sehr darauf an wo man wohnt und auf die Menschen in der Nachbarschaft. Hier z.B. grüßen sich die Menschen zwar, lassen sich aber ansonsten in Ruhe, was mit sehr gelegen kommt :O))).Und ALLE lieben die Natur, was ja auch wichtig ist.
    JA, von den Schottersteinhaufen in den Vorgärten habe ich auch schon gehört - schrecklich - gleichzeitig stöhnen alle, dass es kaum noch Bienen gibt - die Menschen lernen nichts aber auch gar nichts dazu. Das Wasser muss ihnen erst bis zum Hals stehen. Jetzt, da es um ihre geliebten Gewohnheiten - Billig-Kreuzfahrten und den Malleurlaub geht, werden sie allmählich wach und beschweren sich über die Reiseeinschränkungen. Es scheint ihnen immer noch zu gutzugehen. Es muss erst ganz dicke kommen, bevor sie einsichtig werden.
    Nein, die Menschheit ist nicht mehr zu retten, davon bin ich fest überzeugt, lieber Oskar. Genießen wir das Leben, solange es noch möglich ist !!!
    Für heute liebe Grüße und einen guten Start in die neue Woche wünscht
    Laura, die nun von der Gartenwühlerei Rücken hat - bin wohl über den Winter eingerostet ;o(((

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Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein paar nette Worte nimmst.

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