Oder haben Sie da gearbeitet?
Diese Frage wurde mir vor einiger Zeit gestellt, als wir in einem Gespräch auf
meinen früheren Lebensmittelpunkt zu sprechen kamen
Einen Moment lang reagiert ich verblüfft.
"Ist man denn tot, wenn man arbeitet"? schoss es mir durch den Kopf.
Doch dann wurde mir schnell klar, dass diese Frage gar nicht so abwegig war.
Schon oft habe ich das Leben auf der Insel mit dem Leben hier verglichen
und festgestellt, dass man es gar nicht vergleichen kann.
Das Leben dort und das Leben hier ist so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
Tatsache ist, dass ich dort wirklich das Gefühl hatte zu leben, und zwar
ganz intensiv - mit Haut und Haaren, mit Herz, Seele und Verstand.
Es war, als wäre ich endlich angekommen im Leben.
Es fühlte sich so gut an, so, als hätte diese Insel mich zu neuem Leben erweckt.
Das Leben dort sprudelt nur so. Das Leben dort ist leicht wie eine Feder.
Ich fühlte mich oft, als würde ich schweben, träumen, das ganze Leben,
die Natur, den Himmel, die Sonne, das Meer, die Wärme und die
Fröhlichkeit der Menschen in mich aufsaugen.
Es pulsiert dort das Leben - auf eine magische, leise Weise, die mich in ihren
Bann zog. Es war, als hätte mich diese Insel verzaubert, einen anderen
Mensch aus mir gemacht, einen, der das Leben plötzlich spürte,
fühlte, erlebte, mit jeder Faser des Körpers.
Es war diese Leichtigkeit, diese Langsamkeit, diese Gelassenheit,
diese Fröhlichkeit, diese Menschlichkeit, die so ansteckend war,
dass man sich ihr nicht entziehen konnte.
Für einen Großstadtmensch, der wie ich aus Berlin kam, war es das reinste
Paradies. Genau so habe ich mir das Paradies immer vorgestellt.
Und nun war ich mitten drin, in diesem Paradies.
Aber es war auch eine enorme Umstellung, denn ich musste mich an diese
Langsamkeit gewöhnen, musste lernen, geduldig zu sein. Ich musste lernen, nicht
nur einen, sondern gleich drei Gänge zurückzuschalten. Ich musste mich in Geduld
üben, allem viel Zeit geben, nicht erwarten, dass alles "wie gewohnt schnell ging",
sondern mich dem gemächlichen Tempo der Insel anpassen - und wie gut das nach
einer Weile tat !
Ja, die Frage war berechtigt, denn hier l e b t e man wirklich, selbst wenn man
"einer Arbeit" nachging, war man lebendig. Man war langsamer, aber lebendiger.
Niemand erwartete, dass alles schnell ging und dass alles sofort erledigt wurde.
Was für ein Gegensatz zu unserem Land !
Hier wird Arbeit mit TOT-SEIN gleichgestellt.
"Sie arbeitet so viel - sie hat nichts vom Leben," ist ein anderer Satz, den ich hier
oft höre. Hier in unserem Land scheint man wirklich nur zu arbeiten und zu
existieren, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Aber ist das wirklich das, was wir uns unter einem erfüllten Leben vorstellen?
Muss denn alles wirklich immer schnell, schnell, schnell gehen und sofort sein?
Ist es nicht wichtiger, sich Zeit für sein Leben zu nehmen, für dieses eine Leben,
das wir haben ?
"Wenn ich in Rente bin, dann mache ich es wie sie, dann nehme ich mir
die Zeit und fliege auch mal dorthin", rief er mir im Weitergehen noch zu.
Später erfuhr ich, dass er kurz nach seinem Rentenantritt verstorben ist
und sein Vorhaben nicht mehr in die Tat umsetzen konnte.
Weniger ist eben oft mehr.
It's a point of view - wie vieles im Leben.
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