Samstag, 5. August 2023

Freunde fürs Leben

 „Ein Freund ist ein Mensch, vor dem man laut denken kann.“
Ralph Waldo Emerson
 *
 

Man muss schon großes Vertrauen in einen anderen Mensch haben oder anders
gesagt, man muss einen Mensch schon sehr gut und lange kennen, um sich ihm
uneingeschränkt zu öffnen und sein Inneres nach außen zu kehren. Einem Mensch,
den man nur flüchtig kennt, würde man wohl kaum seine intimen Gedanken und
Gefühle offenbaren. Alleine das ist schon ein gravierender Unterschied zwischen
einem wahren Freund oder einer Freundin und Bekannten. Bekanntschaften sind
mir viel zu oberflächlich und für Smalltalk, der mit Bekanntschaften meistens
einhergeht, ist mir meine Zeit zu kostbar.
 Es gibt Menschen, die behaupten, man könne nicht genug Freunde haben. Das war
für mich ein Anlass, mich intensiver mit dem Thema Freundschaft zu beschäftigen.

Wann ist ein Mensch ein Freund, eine Freundin ?
Zuerst ist es Sympathie, dann stellt sich Vertrauen ein und wenn dieser Mensch
immer für dich da ist und du dich immer und jederzeit auf diesen Mensch
verlassen kannst, dann ist es ein Freund, eine Freundin. Das Schöne an einer
langjährigen Freundschaft ist, dass man auch im Alter noch fragen kann:
Weißt du noch, damals ........?
 
Denn das bedeutet nichts anderes, als dass diese Freundschaft ein Leben lang
gehalten hat. Freundschaften, die ein Leben lang halten, sind wahre Freunde.
Alle anderen Menschen, denen man im Leben begegnet - selbst über einen
längeren Zeitraum hinweg, bleiben, wenn sich keine enge Freundschaft daraus
entwickelt hat, eben "nur" Bekannte. Wahrscheinlich heißt es deshalb auch, eine
"Freundschaft", die endet, hat nie begonnen. Freundschaften sollte man in jungen
Jahren schließen, denn wenn man sie pflegt, halten sie ein ganzes Leben -
 länger, als manche Ehe.
 
 
 
Als ich auf der Insel lebte, gehörte ich einer Clique von Menschen aus allen
Herrenländern an. Sie kamen aus den USA, aus England, Schottland, Irland,
Australien, Jamaika, Kanada, Finnland. Die meisten kamen aus England, weil
die Insel zur damaligen Zeit noch dem Commonwealth angehört. Wir nannten
uns die "Expats", aber es gehörten natürlich auch Einheimische zu unserem
Freundeskreis.
 
 
 
Ich kann behaupten, wir alle waren eng verbundene Freunde, die immer und
zu jeder Zeit füreinander da waren. Wir verbrachten endlos viel Zeit miteinander,
sahen uns fast täglich, oft nach Feierabend zur Happy Hour auf einen Drink im Pub,
denn die meisten gingen tagsüber ihrer Arbeit nach. Es war ihr Job, der sie auf die
Insel geführt hatte. Einer war Architekt, ein anderer hatte eine Baufirma, wieder ein
anderer eine Möbelfabrik, ein weiterer eine Installationsfirma, es gab einen Holz-
exporteur, eine Zahnarzthelferin, eine Modedesignerin, Hotelmanager, Piloten usw.
Ich dagegen kam der Liebe wegen auf diese Insel und wir, mein Ex-Mann und ich,
haben Klimaanlagen, Hotelküchen und sonstige Elektroartikel aus den USA
importiert, die wir an Hotels, Restaurants und Pubs, inklusive Service verkauften.
An den Wochenenden trafen wir uns an einem Hotelpool, meistens an der Südost-
küste, weil dort immer ein angenehmer Passatwind wehte. Wir spielten Tennis,
Backgammon oder Billard. Wir faulenzten einfach nur, lasen ein Buch oder
schwammen mal eine Runde entweder im Pool oder im Meer. Abends trafen wir
uns hin und wieder in einem Restaurant zum Essen oder luden uns gegenseitig zum
Diner ein. Wir gingen tanzen und lachten wirklich viel, weil jeder so einige Anekdoten
aus seinem Leben erzählen konnte und die Engländer mit ihrem schwarzen Humor
sowieso für reichliche Lacher sorgten.
 
 
 
Jeder nahm am Leben des anderen teil und jeder konnte sich auf jeden anderen
verlassen. Wir ließen es uns einfach gut gehen. Das Geschehen in der restlichen
Welt war mehr oder weniger komplett ausgeblendet. Es interessierte uns schlicht
nicht. Es sei denn, wir erfuhren in den Nachrichten, dass sich ein Hurrikan aus
Westafrika über den Atlantik auf den Weg zu uns machte.
Wir lebten sozusagen auf einer Insel der Glückseligen.
 
 
 
Aber auch die schönste Zeit im Leben hat einmal ein Ende und das wurde
eingeläutet, als die ersten der Expats die Insel nach vielen Jahren verließen.
Einer nach dem anderen kehrte entweder in seine Heimat zurück oder ließ
sich auf einer anderen karibischen Insel nieder. Eine Zeitlang schrieben wir
uns noch Briefe. Nach einigen Jahren verloren wir uns nach und nach aus den
Augen. Doch die Erinnerung an sie bleibt lebendig. Wären wir heute alle noch
auf der Insel, wir wären auch heute noch enge Freunde. Es ist schade, dass sich
unsere Wege getrennt haben, aber jeder war zu sehr mit seinem "neuen Leben"
beschäftigt, einige haben sogar geheiratet, andere sind leider nicht mehr unter
uns. Gefühlsmäßig sind wir jedoch immer noch Freunde. Heute erscheint
mir dieses Jahrzehnt manchmal wie ein Traum - was es ja eigentlich auch
war - ein langgehegter, in Erfüllung gegangener Traum.
Aber ich habe auch erfahren, wie es ist loslassen zu müssen, was man liebt.
Das erfordert viel Kraft und Mut sowie einen starken Willen für
einen Neuanfang.
 
 
 
Ich hatte das große Glück, meine Freunde aus der Berliner Zeit nie aus den Augen
verloren zu haben und sie mich auch nicht. Einige haben mich sogar auf der Insel
besucht. Sie haben mir bei meinem Neuanfang zurück in der alten Heimat, sehr
geholfen. Wir kennen uns nun schon über fünfzig Jahre und können auch heute noch
fragen: "Weißt du noch, damals ........?"
Leider weilen einige auch nicht mehr unter uns.
 
 
 
Wahre Freundschaft hält genau wie wahre Liebe ein ganzes Leben.
Freunde sind eine große Bereicherung im Leben und können nicht genug
wertgeschätzt werden. Mir jedoch ist eine Handvoll wahrer, enger Freunde
lieber, als nicht genug Freunde haben zu können.

*

Freunde sind wie Sterne.
Du kannst sie nicht immer sehen,
aber sie sind immer da.
 (aus "Der kleine Prinz"
von Antoine de Saint-Exupéry )
 
~*~

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 Einige Fotos habe ich digitalisiert. Damals gab es noch keine Digitalkameras.
 Foto ganz oben: Pixabay

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