„Ich habe noch nicht genug gesehen“, sagte es zum Wind, der sanft an ihm zupfte. „Die Welt ist so schön in ihrem Vergehen.“
Der Wind nickte, verständnisvoll. „Aber auch das Fallen ist Teil des Sehens.“
Das Blatt schwieg. Es erinnerte sich an den Sommer – an das Lachen der Kinder unter seinem Schatten, an die Gedichte, die jemand leise unter dem Baum gelesen hatte. Es hatte jedes Wort aufgesogen, als wären sie für es allein geschrieben.
„Ich möchte noch einmal leuchten“, flüsterte es. Und so blieb es – Tag für Tag, während der Himmel sich grau färbte und die Äste kahl wurden. Die Menschen, die vorbeigingen, bemerkten es. Manche blieben stehen, manche lächelten. Ein Kind zeigte darauf und sagte: „Schau, das Blatt hat Mut.“
Und dann, eines Morgens, als der erste Frost kam und die Sonne in goldenen Schleiern durch den Nebel brach, ließ das Blatt los. Nicht aus Schwäche, sondern aus Liebe. Es segelte hinab, nicht wie die anderen – sondern wie ein Gedanke, der endlich verstanden wurde.
Es landete auf der Erde, direkt neben einem Notizbuch, das jemand vergessen hatte. Der Wind blätterte darin, und das Blatt legte sich auf eine leere Seite. Und dort blieb es – als Zeichen, als Anfang, als stilles Gedicht.
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