Der leere Terminkalender

 Da liegt er nun vor mir, der Tischkalender für das Jahr 2023.

 

  Tag für Tag feine hellgraue Strichlinien auf weißem Hintergrund und noch keine Einträge.

Auch jetzt im Februar kein Termin. Ist das schön !

Manch einer mag jetzt denken, wie altmodisch! Und das in Zeiten von Computern, der mich

an die einzelnen Termine erinnern würde. Stimmt, aber nach dreimaligem Computerabsturz

waren alle Termine weg und im Nirwana verschwunden. Ich habe also gelernt.

Bei diesen Terminen handelte es sich in erster Linie um Geburts- und Gedenktage. An die

meisten erinnere ich mich auch ohne Kalendereintrag und das schon seit Jahrzehnten.

Ansonsten gibt es keine wichtigen Termine mehr in meinem Leben. Darüber bin ich sehr

froh und dankbar.

Vielleicht hier und da mal den einen oder anderen Arzttermin, aber auch die sind eher selten.

So kann ich jeden einzelnen Tag gestalten, wie es mir gefällt; wozu ich gerade Lust habe und

nur das tun, was mir guttut. Natürlich außer der üblichen Hausarbeit, aber auch die kann ich

mir so einteilen, wie es gerade passt.
Was ich besonders mag, sind meine täglichen Rituale. Die sind mir inzwischen schon so in

Fleisch und Blut übergegangen, dass sie quasi automatisch erfolgen. Den frühen Morgen

genieße ich ganz besonders, die Zeit, nach dem Aufwachen, wenn ich halbwach vor mich hin

döse und versuche, mich an den Traum zu erinnern, aus dem ich gerade aufgewacht bin.

Manchmal kommen mir die frühen Morgenstunden im Bett vor, als wäre mein Dasein in

diesem Dämmerzustand mit einem Niedrigbandfotofilter bearbeitet und unscharf eingestellt

worden. Ich mag diesen Dämmerzustand im diffusen Licht des erwachenden Morgens,

der das Schlafzimmer durch die Vorhänge erhellt. Und so genieße ich dieses allmähliche

Aufwachen, bis all meine Sinne geweckt sind und sich die Freude auf das Frühstück und

den frischen Kaffee einstellt. Doch vor dem Frühstück geht es mit den Knuddels auf einen

morgendlichen Rundgang durch den Garten, der schon lange vor mir aus dem Schlaf

erwacht ist und sich schon einiges regt und bewegt.

 

 

 

Oft werde ich von einem traumhaft schönen in rosaroten Farbtönen getauchten Morgenhimmel

begrüßt. Dieser Anblick, wenn die aufgehende Sonne die kleinen Wolken in diese unbeschreib-

lichen Farben taucht, veranlasst mich jedes Mal innezuhalten und tief ein- und auszuatmen. Das

ist inzwischen auch zu einem morgendlichen Ritual geworden. Den Tag ohne Hast und Eile,

ohne Stress und Hektik zu beginnen, sondern in aller Ruhe und Gelassenheit. Und genau zu

dieser frühen Morgenstunde stellen sich dann auch prompt die ersten Glücksmomente ein, die

dem Tag bereits Flügel verleihen. Das ist so schön!
Es ist jeden Morgen ein Segen, wenn ich nach dem Frühstück an meinem Sekretär den leeren

Terminkalender vorfinde, den Computer einschalte und Zeit habe, in aller Ruhe, die Schlag-

zeilen der diversen Online-Zeitungen zu überfliegen. Aber selbst die schlechtesten Nachrichten

können mir meinen Tag und meine morgendlichen Rituale nicht verderben, außer, wenn ich

den Namen Merkel irgendwo lese, dann spüre ich, wie es in mir gärt. Und natürlich bedrückt

mich der Krieg in der Ukraine, weil mir die Menschen dort unsagbar leidtun und ich einen Groll

gegen den russischen Tyrannen hege. Ansonsten nehme ich die Schlagzeilen zur Kenntnis, lese

den einen oder anderen interessanten Artikel und rege mich manchmal noch ein bisschen über

die verheerende Lage im Land, in Europa und der Welt auf, aber im Großen und Ganzen kann

ich das ganze Geschehen inzwischen ziemlich gelassen ertragen und abhaken.

Die Dankbarkeit über das Geschenk eines neuen Tages, den ich nach meiner
Vorstellung gestalten kann, überwiegt auf jeden Fall. Das Leben ist schön -
jeden Tag aufs Neue – und ganz besonders schön ist es,

wenn der Terminkalender leer ist.

 

 Denn zu Zeiten meiner Berufstätigkeit sah das noch ganz anders aus.

Das Rentenalter - auch Ruhestand genannt, hat was - man hat nämlich

mehr Zeit, um sie mit sich selbst zu verbringen, mehr Zeit für sich und

für das, womit man sich gerne beschäftigt.

Und das muss man einfach genießen !

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