Samstag, 7. Oktober 2017

Mutig sein I


Heute gibt es mal wieder einen kleinen Ausschnitt aus meinen Memoiren.
Wenn ich nach über 30 Jahren heutzutage einige Seiten auf denen
meine Erinnerungen schlummern, lese, dann bin ich doch ziemlich überrascht,
wie mutig ich damals war.

Habe ich mich damals noch spontan in irgendwelche Abenteuer gestürzt und mich
manchmal auch in nicht gerade gefahrlose Situationen begeben, so würde ich
heute dreimal überlegen, ob ich mir das noch zutrauen würde.
In meinem heutigen Alter und um einige Erfahrungen reicher, würde ich so spontan
wohl nicht mehr handeln, sondern wäre mir der Gefahren wohl bewusster,
die da draußen überall lauern können. Und dennoch ist es gut, dass man in jüngeren
Jahren spontan handelt und nicht lange überlegt, ob man dies tun oder jenes lieber
lassen sollte. Nur so kann man eigentlich lernen. Wer nur auf Nummer sicher geht, der
wird auch nicht viel erleben. Manchmal muss man eben auch ein Risiko eingehen und
mutig sein.
Denn wie heißt es so schön ?
Dem Mutigen hilft Gott !
(Schiller)

 

 Teil I von III
Eine Woche vor unserem Flug nach West Palm Beach stellte ich entsetzt fest, dass mein Reisepass abgelaufen war. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte ich Don.
„Na, du musst zur deutschen Botschaft.“
„Ja, und die ist Trinidad. Hier gibt es nur ein Konsulat und die dürfen keine Reisepässe ausstellen.“
„Ach so, das wusste ich nicht. Dann fliegst du eben nach Trinidad.“
„Ich nach Trinidad? Alleine?“
Er lachte. „Hast du etwa Angst alleine nach Trinidad zu fliegen? Ich kann leider nicht mitkommen. Du weißt, die Klimaanlagen im Blue Horizon. Wir müssen diese Woche damit fertig werden.“
„Ja, ich weiß, aber“....
„Warte mal“, fiel er mir ins Wort und ging zum Telefon, „ich werde Felix anrufen. Er fliegt die Route. Er könnte dich in Port of Spain wenigstens bis zum Taxi begleiten.“
Ich kannte Felix flüchtig. Er war Kapitän bei einer kleinen karibischen Fluggesellschaft und ein Freund von Bill. An den Wochenenden kam er manchmal ins Arawak und schwamm ein paar Runden im Pool, bevor er zum Flughafen fuhr. Ein netter Kerl Mitte dreißig, der aus Chile stammend, schon etliche Jahre hier lebte.
Don kam zurück. „Kein Problem. Felix fliegt schon am Dienstag rüber und besorgt dir ein Ticket. Du musst nur rechtzeitig am Liat Schalter sein. Er wartet dort auf dich.“
Am Dienstagmorgen fand ich mich pünktlich am Flughafen ein. Vom Liat Schalter aus beobachtete ich wie sich die vielen, braungebrannten Touristen vor den verschiedenen Abflugschaltern drängelten, um in ihre Heimat zurückzufliegen.
Dabei fiel mir ein, wie ich damals nach dem Urlaub mit Thomas, die Insel und Don verlassen musste und wie  schwer es mir gefallen war. Fast drei Jahre war das jetzt her. Heute waren Don und die Insel meine Heimat.  Jetzt würde ich immer hierher zurückkehren, egal woher ich kam, in meine neue Heimat. Der Gedanke, kein Tourist mehr zu sein, der die Insel nach kurzer Zeit wieder verlassen musste, machte mich glücklich. Ich war  eine Einheimische geworden.
Als plötzlich jemand auf meine Schulter tippte, fuhr ich herum. „So tief in Gedanken?“ fragte Felix, der in seiner schwarzen, tadellos sitzenden Uniform, noch schlanker wirkte, als er ohnehin schon war.
„Entschuldigen Sie, ich war wirklich gerade in Gedanken. Nett von Ihnen, dass Sie mir als Beschützer zur Seite stehen wollen.“
„Ist mir ein Vergnügen. Sie fliegen selbstverständlich im Cockpit mit, dann verliere ich Sie nicht aus den Augen.“
„Wunderbar, danke. Ich fliege nämlich für mein Leben gerne und selten genug im Cockpit.“
„Na, dann wollen wir mal,“ lud er mich mit einer Handbewegung ein ihm zu der Propellermaschine zu folgen, die auf dem Flugfeld bereit stand.
„Ich bin noch nie in einem so kleinen Flugzeug geflogen“, sagte ich ein wenig besorgt zu Felix, nachdem er mir seinen Co-Piloten vorgestellt und den Notsitz für mich runtergeklappt hatte.
„Dann wird es aber höchste Zeit“, erwiderte er und als sich die Maschine wenig später in der Luft befand drehte er sich nachsichtig lächelnd zu mir um. „Na, alles in Ordnung?“
Ich nickte.
„Gleich überfliegen wir ein gesunkenes Schiff, von dem nur noch der Bug aus dem Wasser herausragt. Da, auf der linken Seite. Können Sie es sehen?“ fragte er eine knappe Stunde später kurz bevor wir Trinidad erreichten.
Ich schüttelte den Kopf.
„Das haben wir gleich“, meinte er und drückte, ohne auf die restlichen Passagiere Rücksicht zu nehmen, den Steuerknüppel gleichzeitig nach vorn und nach links, so dass sich die Maschine wie im Sturzflug schräg zur Seite neigte.
„Sehen Sie es jetzt?“
Ich schloss die Augen und hielt unwillkürlich den Atem an, als die Maschine direkt auf den Bug zuraste. „Ja, ja, wirklich beeindruckend“, erwiderte ich schnell, während sich mein Magen drehte.
„Diesen Extraservice lassen wir den Fluggästen normalerweise nicht zukommen“, lachte Felix, „aber für Sie machen wir eine Ausnahme.“
„Das ist wirklich sehr liebenswürdig,“ bedankte ich mich, atmete jedoch erst erleichtert auf, als sich die Maschine wieder in ihrer horizontalen Flugposition befand.
„Keine Ursache,“ sagte er noch, bevor er Kontakt zum Tower in Port of Spain aufnahm. Er flog eine lange Schleife, in der die Maschine nach und nach an Höhe verlor und setzte sie wenig später sicher auf dem Rollfeld auf.
„War’s sehr schlimm?“ wollte Felix auf dem Weg zum Taxistand wissen.
„Nein, überhaupt nicht,“ log ich, „eher ungewohnt.“
Er lachte und winkte zwei Kollegen zu, die gerade einem Taxi entstiegen und uns neugierig anstarrten.
„Was die wohl wieder denken,“ murmelte er kopfschüttelnd, während er einen älteren, spindeldürren Taxifahrer herbeirief, der sogleich seinen Hut zog und sich hingebungsvoll vor Felix verneigte. „Ja Mistah Felix?“ Sein eingefallenes, schwarzes Gesicht war von tiefen Falten zerknittert.  
„Du bringst diese Dame zur Deutschen Botschaft und holst sie dort um drei Uhr wieder ab. Sie muss um fünf Uhr wieder am Flughafen sein,“ trug er dem Fahrer freundlich aber nachdrücklich auf.
„Ja, Mistah Felix, um fünf Uhr.“
Felix drückte dem Mann einen Schein in die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. „Kann ich mich darauf verlassen?“
„Ja Mistah Felix,“ wiederholte er gehorsam, während er den Schein in seiner Hosentasche verschwinden ließ. „Um fünf Uhr.“ Er schob den Hut in den Nacken und öffnete mir die altersschwache, knarrende Wagentür.
Felix lehnte sich zu mir in das offene Wagenfenster. „Bis später, und viel Glück.“
„Bis später und vielen Dank für alles.“
„Keine Ursache,“ rief Felix mir noch zu, dann setzte sich das Taxi in Bewegung.
Während der zweistündigen Fahrt über die schmale Hauptstraße, die schnurstracks in Richtung Port of Spain führte, gerieten wir in einen Strom dahinkriechender klappriger Autos und stinkender Lastwagen, über die der Fahrer lauthals schwätzte und schimpfte. An zahllosen Industriegebieten, dürftigen Wohnsiedlungen und vereinzelten Häusern vorbei, an denen verschiedenfarbige Fahnen ihm Wind wehten, die auf die unterschiedlichen Religionen der Bewohner hindeuteten, erreichten wir gegen Mittag den brodelnd heißen Stadtkern.  In einem Buch über Trinidad hatte ich gelesen, dass die Insel seit vierhundertfünfzig Jahren ein Sammelbecken für Menschen aus vielen Ländern war, und dass noch heute überwiegend Inder, Chinesen, Syrer, Libanesen und aus Afrika stammende Schwarze sowie Nachfahren der Arawaks und Kariben hier lebten.
An einer belebten Kreuzung stoppte der Fahrer den Wagen so plötzlich, dass ich nach vorne schoss. Er sah mich schräg von der Seite an. „Die Botschaft ist mittags geschlossen, M'am.“

Neugierig geworden ?
Bald folgt die Fortsetzung ;o).

~*~

(Weitere kurze Episoden sind HIER zu finden).

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