Dienstag, 20. Dezember 2016

Die Nanny

 Sie war alt und gebrechlich. Ihr Rücken krumm, ihre Hände von harter Arbeit
gezeichnet. Ihre schwarze Haut war von tiefen Falten durchfurcht und von der
karibischen Sonne ausgetrocknet. Sie wohnte in einem kleinen für die Insel
typischen Chattelhouse, das sich ein wenig zur Seite neigte und umzukippen
drohte, würde es nicht von einer dickstämmigen Kokospalme abgestützt.
Das Häuschen lag an einer schmalen Straße und war umgeben von einem
kleinen Garten, in dem ein wenig Gemüse wuchs. Ein kräftiger Grapefruitbaum
im hinteren, schmalen Teil des Gartens warf einen angenehmen Schatten auf
die brüchige Holzveranda. Ihre Vorfahren stammten aus Afrika. Sie waren schon
im 1700 Jahrhundert aus Westafrika über den Atlantik in sogenannten
Sklavenschiffen, in die Karibik umgesiedelt worden. Dort wurden sie von reichen
Plantagenbesitzer gekauft und für die schweren und anstrengenden Arbeiten in
den Zuckerrohrfeldern, den Baumwollfeldern und im Tabakanbau eingesetzt.
 


Nannys Vorfahren hatten, so wie sie selbst, zuletzt als Hauspersonal in den
herrschaftlichen Kolonialhäusern der Plantagenbesitzer gearbeitet. Sie war die
Nanny meines Ex-Mannes.

Als wir das Auto an diesem Weihnachtsabend des Jahres 1976 am Straßenrand
vor der kleinen, baufälligen Hütte parkten, war es sehr heiß. Die Sonne brannte
von einem strahlendblauen Himmel, während der Passatwind vom Meer für ein
eine leichte, erfrischende Brise sorgte. Mit einem "Heiligen Abend" so wie ich ihn
aus der alten Heimat kannte, hatte das so gar nichts zu tun.
Als Nanny die Holztür von innen öffnete, schaute sie einen Moment lang etwas
verwundert drein, so, als traue sie ihren Augen nicht. Doch dann huschte
plötzlich ein Lächeln über ihr Gesicht und es schien, als würden ihre getrübten
Augen plötzlich aufleuchten. Sie schien ihn erkannt zu haben, ihren
einstmals kleinen Schützling. Sie ging zwei Schritte auf ihn zu, nahm ihn in
ihre Arme und drückte ihn fest an sich. Aus dem geöffneten Autofenster konnte
ich sehen, dass ein paar Tränen über ihr faltiges Gesicht kullerten, als mein Ex-
Mann einen großen Korb, vollgestopft mit allerlei Lebensmitteln, hinter ihr her in
das kleine Chattelhouse trug.

Nach einer kurzen Weile kam er zurück und reichte mir zwei großen Pampel-
musen durch das Autofenster. Dann umarmte er seine Nanny noch einmal und
stieg danach zu mir ins Auto.  Nie vergesse ich das Bild, wie seine ehemalige
Nanny, klein und zerbrechlich in einer bunten  Kittelschürze, ein ebenso buntes
Tuch um den Kopf gewickelt, in der Tür stand und uns nachwinkte.

"Du wirst sehen, es sind die süßesten Grapefruits, die du jemals gegessen hast",
sagte mein Ex-Mann während der Fahrt. In der Tat, es waren di e süßesten
Grapefruit, die wir uns wenig später am Strand der Ostküste mit Blick auf
den tosenden Atlantik, an diesem "Heiligen Abend" schmecken ließen.

Wenn ich heute eine dieser Grapefruits esse, denke ich manchmal an diese
kleine Episode,  an die Nanny, die uns am Heiligen Abend zwei Grapefruits
schenkte, die süßesten Grapefruits die ich jemals genießen durfte. Es ist nur
eine meiner vielen schönen Weihnachtserinnerungen.
Die Weihnachtsgeschichte von Nanny und den beiden Grapefruits, die immer
mal wieder ein Lächeln in mein Gesicht zaubert.

Erst viel später erfuhr ich, dass diese süßen Grapefruits tatsächlich ein
Geschenk der Insel Barbados sind, denn dort sind sie irgendwann einmal zufällig
aus der Kreuzung einer Orange und einer "normalen" Pampelmuse, die ja eher
bitter schmecken, entstanden.
  
 
~ Genau vierzig Jahre ist das nun schon her - Weihnachten 1976 auf der Insel ~

*

Obwohl Weihnachtsbäume so gar nicht  in die Karibik passen und daher auf der
Insel ganz und gar nicht üblich sind, durfte ich mich Weihnachten 1976 dennoch
über einen aus Kanada importierten Weihnachtsbaum freuen.
 
Ein paar alte Fotos habe ich zwar noch, aber diese wenigen Fotos sind im
Original schon ziemlich vergilbt, so dass sie beim Abfotografieren kaum zu
verwenden sind. Daher also die schlechte Bildqualität des unteren Fotos.

~*~

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1 Kommentar:

  1. Es ist schön so auf sein Leben zurückzublicken und sich an die weihnachten von früher zu erinnern, vielleicht erst recht, wenn man wie du weit rum gekommen und außergewöhnliche Weihnachten erlebt hast.

    Ich denke zur Zeit öfter an die Weihnachten mit meinem verstorbenen Mann und als die Kinder noch klein waren. Aber freue mich gleichzeitig auch auf weihnachten mit meinem neuen Partner und den großen Kindern und Enkeln. Die Zeit geht weiter, aber das alte bleibt im Herzen erhalten

    lg und eine schöne Weihnachtszeit wünsch dir gabi

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