Sonntag, 26. Oktober 2014

Haben Sie dort gelebt ?

Oder haben Sie da gearbeitet?
Diese Frage wurde mir vor einiger Zeit gestellt, als wir in einem Gespräch auf
meinen früheren Lebensmittelpunkt zu sprechen kamen
Einen Moment lang reagiert ich verblüfft.
"Ist man denn tot, wenn man arbeitet"? schoss es mir durch den Kopf.
 
 
Doch dann wurde mir schnell klar, dass diese Frage gar nicht so abwegig war.
Schon oft habe ich das Leben auf der Insel mit dem Leben hier verglichen
und festgestellt, dass man es gar nicht vergleichen kann.
Das Leben dort und das Leben hier ist so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
Tatsache ist, dass ich dort wirklich das Gefühl hatte zu leben, und zwar
ganz intensiv - mit Haut und Haaren, mit Herz, Seele und Verstand.
Es war, als wäre ich endlich angekommen im Leben.
Es fühlte sich so gut an, so, als hätte diese Insel mich zu neuem Leben erweckt.
Das Leben dort sprudelt nur so. Das Leben dort ist leicht wie eine Feder.
Ich fühlte mich oft, als würde ich schweben, träumen, das ganze Leben,
die Natur, den Himmel, die Sonne, das Meer, die Wärme und die
Fröhlichkeit der Menschen in mich aufsaugen.
Es pulsiert dort das Leben - auf eine magische, leise Weise, die mich in ihren
Bann zog. Es war, als hätte mich diese Insel verzaubert, einen anderen
Mensch aus mir gemacht, einen, der das Leben plötzlich spürte,
fühlte, erlebte, mit jeder Faser des Körpers.
Es war diese Leichtigkeit, diese Langsamkeit, diese Gelassenheit,
diese Fröhlichkeit, diese Menschlichkeit, die so ansteckend war,
dass man sich ihr nicht entziehen konnte.
Für einen Großstadtmensch, der wie ich aus Berlin kam, war es das reinste
Paradies. Genau so habe ich mir das Paradies immer vorgestellt.
Und nun war ich mitten drin, in diesem Paradies.
 
Aber es war auch eine enorme Umstellung, denn ich musste mich an diese
Langsamkeit gewöhnen, musste lernen, geduldig zu sein. Ich musste lernen, nicht
nur einen, sondern gleich drei Gänge zurückzuschalten. Ich musste mich in Geduld
üben, allem viel Zeit geben, nicht erwarten, dass alles "wie gewohnt schnell ging",
sondern mich dem gemächlichen Tempo der Insel anpassen - und wie gut das nach
einer Weile tat !
Ja, die Frage war berechtigt, denn hier l e b t e  man wirklich, selbst wenn man
"einer Arbeit" nachging, war man lebendig. Man war langsamer, aber lebendiger.
Niemand erwartete, dass alles schnell ging und dass alles sofort erledigt wurde.
Was für ein Gegensatz zu unserem Land !
Hier wird Arbeit mit TOT-SEIN gleichgestellt.
"Sie arbeitet so viel - sie hat nichts vom Leben," ist ein anderer Satz, den ich hier
oft höre. Hier in unserem Land scheint man wirklich nur zu arbeiten und zu
existieren, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Aber ist das wirklich das, was wir uns unter einem erfüllten Leben vorstellen?
Muss denn alles wirklich immer schnell, schnell, schnell gehen und sofort sein?
Ist es nicht wichtiger, sich Zeit für sein Leben zu nehmen, für dieses eine Leben,
das wir haben ?
 
 
"Wenn ich in Rente bin, dann mache ich es wie sie, dann nehme ich mir
die Zeit und fliege auch mal dorthin", rief er mir im Weitergehen noch zu.
Später erfuhr ich, dass er kurz nach seinem Rentenantritt verstorben ist
und sein Vorhaben nicht mehr in die Tat umsetzen konnte.
 
Weniger ist eben oft mehr.
It's a point of view - wie vieles im Leben.
 
~*~
 
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4 Kommentare:

  1. Auch wenn ich nie auf einer Insel gelebt habe,glaube ich schon dass die Arbeit dort ganz anders ist und einem alles viel relxter erscheint...

    Gerade in der letzten Woche haben wir erfahren,dass ein Kollege von uns verstorben ist.Er war gerade mal 70 und hat nicht viel von der Rente gehabt...

    Da ich es leider immer wieder erlebe,hoffe ich natürlich,dass ich mehr von meiner Rente habe...

    LG Sabine

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  2. Es ist wirklich so, liebe Sabine, aber hier machen wir uns den Stress selbst und nehmen uns damit auch ein Stück Freiheit.
    Wie lange wir leben dürfen, darauf haben wir ja leider keinen Einfluss. Daher ist es ja so wichtig, jeden Tag der uns geschenkt wird, bewusst zu leben und zu genießen. Gesundheit ist dabei genau so wichtig. Stress kann allerdings krank machen. Den sollte man wirklich vermeiden.
    Hab einen schönen Tag und sei herzlich gegrüßt
    Laura

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  3. Liebe Laura,

    wieder ein Beitrag, der mich nachdenklich macht....

    Schon seit geraumer Zeit versuche ich nämlich gerade DAS, langsamer zu leben.

    Da ich mich viel mit dem Buddhismus beschäftige, kam ich natürlich auch mit dem Thema "Achtsamkeit" in Berührung.
    Und Achtsamkeit bedeutet natürlich auch Langsamkeit.

    Es ist gar nicht so einfach vom "schnell-schnell" und Multitasking- Modus umzuschalten auf Langsamkeit, Gelassenheit, Geduld etc.
    Ich übe mich täglich in dieser neuen, anderen Lebensphilosophie und bin auf dem Weg....

    Gerade das Aufschieben auch auf später ist für mich so unsinnig, denn wer weiß schon, wie viel Zeit einem wirklich noch bleibt? Und es bedeutet ja auch, dass man gar nicht im "Hier und Jetzt" lebt, sondern sein Leben auf später verschiebt, wie schade ist das.

    Und du hast völlig Recht, gerade in den Industrienationen scheinen viele Menschen zu leben um zu arbeiten, anstatt doch besser zu arbeiten um zu leben, oder?

    Seit ich in Rente bin, versuche ich noch mehr, meinen Alltag bewusster und achtsamer zu leben.
    Ich persönlich kann sagen, dass ich gelernt habe, das Leben als nicht selbstverständlich zu achten.
    Wer weiß, ob ich auch so denke würde, wenn es nicht bestimmte Situationen gegeben hätte, wo mein Leben wirklich am seidenen Faden hing....
    Leider ist es bei vielen Menschen doch so, dass sie oft erst durch lebensbedrohliche Ereignisse/Umstände zum Umdenken bewegt werden- eigentlich sehr traurig.... aber besser spät als nie!

    Liebe Laura, einen wunderschönen Abend wünscht dir
    Milka

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  4. Du sagst es, liebe Mika, besser spät als nie. Nichts im Leben ist selbstverständlich. Das wird einem oft tatsächlich erst im Leid bewusst. Erst wenn man das erkannt hat, wird man demütig und ist dankbar für jeden Tag, den man erleben darf. Hier und jetzt leben ist das einzig Wahre - doch die meisten planen ihr Leben für die Zukunft, ohne zu wissen, was dann sein wird.
    Ich danke Dir sehr für Deine Ansichten, denn ich lerne immer noch gerne dazu und freue mich über einen solchen Meinungsaustausch.
    Nochmals danke und liebe Grüße für Dich von
    Laura

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Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein paar nette Worte nimmst.

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