Dienstag, 19. Oktober 2021

Das Wesentliche

Sich des Wesentlichen zu besinnen, geht in der heutigen Zeit immer mehr verloren.
Die meisten Menschen streben nach mehr, nach immer mehr.
Haben wollen, kaufen, wegwerfen.
Die wenigsten Menschen haben heutzutage Zeit, zu denken. Viele haben Sorgen
und Probleme, arbeiten den ganzen Tag, müssen sich dann noch um Kinder,
vielleicht um pflegebedürftige Eltern und den Haushalt kümmern.
Oder sie sind krank.
 

 Ich sehe es ja an mir und ich befinde mich im "Ruhestand". Davon kann bei mir allerdings
keine Rede sein, denn es gibt immer genug zu tun. Da ist der Garten, mein liebstes
Hobby. Da sind die Knuddels, die versorgt werden müssen, der Haushalt usw. Wenn ich
im Garten wühle, dann bin ich wirklich ganz und gar bei dem, was ich tue und denke
quasi an nichts anderes, als an das, was ich gerade tue. Das nennt man Achtsamkeit,
sich durch nichts anderes ablenken lassen.
Zum Denken und sich des Wesentlichen zu besinnen, braucht man Zeit, Ruhe und
Stille. Die nehme ich mir von Zeit zu Zeit dann auch ganz bewusst.
 
Den meisten Menschen fehlt dazu die Zeit. Sie hetzen und jagen durchs Leben und verlieren
das Wesentliche dabei ganz und gar aus den Augen. Für sie zählen Karriere und Erfolg. Es geht
darum, immer höher hinaufzusteigen auf der Karriereleiter. Dorthin, wo sie meinen, endlich
am Ziel anzukommen, welches ihnen die ersehnte Befriedigung verschaffen soll. Sie wollen
immer höher, immer weiter, immer mehr und das immer schneller. Und je höher sie steigen
und je mehr sie wollen, desto unzufriedener werden sie, weil sie feststellen, dass sich die
erhoffte Zufriedenheit einfach nicht einstellen will. Im Gegenteil, sie sind außer Atem, weil
ihr Arbeitstag immer stressiger wird und sie einfach nicht zur Ruhe kommen. Sie scheinen
wie auf einer Flucht vor sich selbst wegzurennen und verlieren sich dabei schließlich selbst.
Somit sind sie die eigentlichen und wahren Verlierer.
 
 
 Andere haben deshalb keine Zeit zu denken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren,
weil ihnen gar nichts anderes übrigbleibt, als von morgens bis abends zu arbeiten, um über
die Runden zu kommen. Sie sind froh, wenn sie den Feierabend einläuten und diesen auch
mal genießen können. Alte Menschen sind entweder krank und/ oder ebenfalls froh, wenn
sie ihren Alltag noch selbstbestimmt meistern können und mit ihrer kläglichen Rente über
die Runde kommen. Sie werden dankbar sein, wenn sie gesund sind und es ihnen gut geht.
Die wenigstens werden sich wahrscheinlich ernsthafte Gedanken über die Zustände in der
Welt und in unserem Land machen.
Wozu auch ? Was können sie noch ändern ?
 
Zum Denken oder gar zum philosophischen Denken haben diese Menschen gar keine Zeit
und höchstwahrscheinlich auch kein Interesse. Sie lassen sich, ohne es zu merken, vom
ÖRR und anderen staatstreuen Medien dahingehend manipuliert und erziehen, das zu
denken, was man ihnen vorgegaukelt. Und diejenigen, die sich noch erlauben selbstständig
zu denken sowie Kritik an den Zuständen im Land zu üben und sich nicht der Meinung des
Mainstreams anschließen, werden niedergemacht.
 
Philosophen dagegen tun nichts anderes als denken. Es ist deren Job zu denken und evtl.
Bücher zu schreiben, in denen sie ihre Gedanken veröffentlichen. Aber wie viele Menschen
lesen philosophische oder politische Bücher ?
 
Wie viele Menschen interessieren sich noch für das Wesentliche im Leben, das, was ein
zufriedenes und glückliches Leben ausmacht ?  Wer ist noch dankbar für all das, was uns
hier in diesem Land (noch) zur Verfügung steht ? Noch leben wir hier im Gegensatz zu
anderen Ländern in Hülle und Fülle. Die Frage ist jedoch, brauchen wir das wirklich alles ?
Müssen wir wirklich jedes neue Smartphone oder ein immer größeres Auto haben ?
Weniger ist mehr, heißt es. Auch darüber lohnt es sich einmal nachzudenken. Denken
wir überhaupt noch daran, die Schönheit der Natur zu genießen ? Und sollten wir nicht
statt eine Reise in ferne Länder zu unternehmen, vielleicht einmal eine Reise in unser
Inneres wagen und uns mit uns selbst beschäftigen ? Auf diese Weise würden wir uns
besser kennenlernen und schließlich zu uns selbst zu finden.
Wir selbst schreiben unsere eigene Lebensgeschichte und wir alle wollen doch gerne
ein erfülltes Leben - oder ?
Vielleicht sollten wir auf unserer Hetzjagd durchs Leben einfach mal innehalten und uns
 wieder des Wesentlichen bewusst werden. Vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, einfach mal
über das Wesentliche nachzudenken, dankbar und ein wenig demütiger zu sein.
Ist das Leben nicht sinnlos, wenn nur noch das Materielle zählt, die Markenklamotten,
das größere Auto, der neuste Fernseher, das neuste Smartphone ?
Immer mehr haben zu wollen, trägt nicht zur Zufriedenheit bei, sondern im
Gegenteil - es macht auf Dauer unzufrieden.


 Es ist die Werbung, die uns einreden will, dass wir erst glücklich und zufrieden sind,
wenn wir bestimmte Dinge besitzen. Ja, vielleicht sind wir tatsächlich in dem Moment
glücklich, in dem wir endlich in den Händen halten, was wir schon lange haben wollten,
aber mal ehrlich, wie lange hält dieses Glück an ?
Vielleicht sollte sich jeder Mensch einmal fragen, worauf er verzichten kann und worauf
er auf keinen Fall verzichten möchte.
Es ist interessant, welche Antworten einem da zuerst in den Sinn kommen.
Mein erster Gedanke war, dass ich nicht auf meine Freundschaften verzichten möchte,
auf die Knuddels, den Garten, einen Spaziergang durch den Wald, die Vögel an den
Futterhäuschen beobachten, auf gute Bücher und hörenswerte Musik .*
Sollten wir nicht viel mehr herausfinden, was uns auf Dauer zufrieden, ja, glücklich
macht, uns Freude bereitet und danach streben ?
Immerhin soll unsere Lebensgeschichte doch ein gutes Ende haben und deshalb gilt es,
sich des Wesentlichen zu besinnen und sich eines guten, sinnvollen und erfüllten Lebens
zu erfreuen und sich von allem Überflüssigen trennen.

~~~~~~~~~*~~~~~~~~~

Man muss nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht,
ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles
noch herrlicher wieder. Was abfallen muss, fällt ab; was zu uns gehört,
bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer
als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen.
Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken,
an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte,
dem gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt.

Rainer Maria Rilke
 
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*  Zuletzt habe ich mir den Song "Anthem" von Leonard Cohen mehrmals angehört.
Ein nachdenklich stimmender Text mit wunderbarer Musik und einer unglaublich
einfühlsamen Stimme. (Leider gibt es vorher wieder Werbung:o(()
 
 
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2 Kommentare:

  1. Größer, schneller, weiter, mehr von allem und viel für's Geld. So bekomme ich das im unmittelbaren Umfeld auch mit. Zitat: "Letzten Monat waren wir in Prag, mit dem Zug 1. Klasse, aber bei denen heißt wohl 1. Klasse eher 2. Klassse. kein Komfort. Wart ihr schon mal in Prag?" - Nein, waren wir nicht, wollen wir auch gar nicht hin. Warum sollte man sich gemeinsam mit japanischen Touristen altertümliche Architektur angucken? Bin zufrieden im Hier und Jetzt, (hätte vielleicht gern ein kleineres Häuschen mit klitzekleinen Garten). Brauche das alles nicht, was man angeblich haben muss. Habe ich noch nie gebraucht, aber tatsächlich zeitweise geglaubt, man müsse mit anderen mithalten. Ist mir nicht gut bekommen.

    Mit Philosophen habe ich nur soweit Kontakt, als mein Mann eine Vorliebe für Montaigne hat. Der zitiert oft und gern die alten Griechen und Römer und mein Mann aus den Essays von Montaigne. Das ist ein dickes Werk, mit vielen Worten, für mich und meine Ungeduld zu altertümlich und umständlich geschrieben. Vielleicht finde ich die Geduld mich ein zu lesen doch noch irgendwann ...

    Leonard Cohen hat eine wunderbare Stimme. Melodische, einprägsame Songs, mit tollen Begleitmusikern. Poetische Texte, mystisch verbrämt, dieses melancholische herangehen an tiefe Themen, das hat berührt. Dann habe ich ein Buch von ihm gelesen und mein Verhältnis zu L. Cohen war nicht mehr das gleiche. Ich fühlte mich irgendwie beschmutzt und meiner romantischen Vorstellungen enthoben. Kann weder Titel noch Inhalt nennen (ist einfach zu lange her) aber mit dem, was ich in den Liedern zu erkennen glaubte, hatte das nichts zu tun. Der gute Lenny hat seitdem bei mir in erster Linie als Vorlage für Gitarrenbegleitung gedient. Wie auch immer - Man kann sich seinen Liedern nicht entziehen. So ist es auch mit Anthem, ein Stück was Hoffnung macht, diese Welt könnte doch noch und wenn auch nur im Kleinen, von göttlichem Licht erfüllt werden. Und mir gefällt ganz besonders, wie er im Video seinen Musikern Raum gibt als er sie einzeln vorstellt. Das wirkt so liebevoll.
    LG Christiane

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    1. Wie sehr viele Menschen das haben müssen, was andere haben, ist mir schon vor etlichen Jahren bewusst geworden. Sie setzen sich selbst unter Druck, um zu beweisen, dass sie mithalten können. Mir ist es so ergangen, wie dir. Aber ich habe schnell gelernt. Meine Nachbarin trifft sich regelmäßig einmal in der Woche mit anderen Nachbarinnen zum Kaffeeklatsch. Immer neu eingekleidet, wie sie gestand und so gab auch ich mir Mühe mitzuhalten, als sie mich einlud, ebenfalls daran teilzunehmen. Ich stellte dann schnell fest, dass bei diesen Treffen nur über andere Nachbarn gesprochen wurde. Als sie mich das nächste Mal fragte, ob ich wieder mitkommen wolle, sagte ich ihr, dass ich es vorziehe, im Garten lieber Unkraut zu zupfen. Ihr Gesicht hättest du sehen müssen.
      Ich stelle immer wieder fest, wie wenig man im Leben wirklich braucht. Jedoch denke ich, die meisten Menschen, auch wenn sie wenig haben, wissen das Wenige nicht zu schätzen, eben weil sie sehen, dass andere mehr haben. Es bedarf so wenig, zufrieden zu sein. Alleine Gesundheit ist schon so viel wert. Eine Arbeitsstelle, ein Dach über dem Kopf, zu essen und zu trinken und nach Möglichkeit nicht alleine zu sein, was braucht ein Mensch mehr? Vielleicht muss man auch erst ein gewisses Alter erreichen, um das zu erkennen.

      Mir fehlt manchmal der Gedankenaustausch mit anderen. Bücher zu lesen ist zwar okay, aber hin und wieder würde ich auch gerne mal über diverse Themen diskutieren, um andere Ansichten zu hören. Daher schreibe ich viel und stelle dann dabei fest, dass ich mich selbst oft in Widersprüche verwickelte und neu denken muss. Erstaunlich ist, wie früh in der Geschichte sich Menschen, z.B. Platon, schon mit Philosophie beschäftigt haben und vieles davon auch heute noch zutrifft.

      Leonard Cohens Bücher kenne ich leider nicht, aber ich mag seine Songs sehr gerne, auch sein Hallelujah geht in die Tiefe.

      Hier scheint nach dem ersten Herbststurm schon wieder die Sonne, aber der zerstreute Professor musste genau durch diesen Starkregen und Sturm auf die Autobahn. Ist aber gut angekommen. In solchen Fällen ist ein Telefon Gold wert, trägt es doch zur Beruhigung bei. Hoffe auch ihr habt den Sturm gut überstanden. In diesem Sinne, vielen Dank für deine Zeilen, liebe Christiane, über die ich mich wie immer sehr gefreut habe und ganz liebe Grüße von
      Laura, die sich außerdem freut, dass der Garten diesen Ignatz gut überstanden hat.
      Mach’s gut, liebe Christiane, und hab einen guten Tag !

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Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein paar nette Worte nimmst.

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