Freitag, 13. September 2013

Das geflickte Herz

Ein Märchen für Erwachsene
 

  

Es war einmal ein König, der lebte mit seiner Frau Gemahlin

auf einer fernen Insel, die sich unter ganzjährigem Sonnenschein

aus einem türkisfarbenen Ozean erhob.

Der König fühlte sich oft einsam, weil seine Frau Gemahlin

sich immer öfter auf lange Reisen in ferne Länder begab.

Als der König sich wieder einmal sehr einsam fühlte,

beschloss er, ein großes Fest zu feiern.

Dazu lud er viele seiner Untertanen sowie eine junge Frau ein,

die ihm schon seit einiger Zeit aufgefallen war.

Sie lebte schon seit vielen Jahren auf der Insel, die

zu ihrer zweiten Heimat geworden war.

Und so begab es sich, dass sie an diesem festlichen Abend

dem König begegnen sollte, der sich auf Anhieb in die

junge Frau verliebte. Nach dem Abendessen führte er sie durch

den weitläufigen Tropengarten, in dem unzählige Zikaden ihr nächtliches

Konzert angestimmt hatten und über dem Abermillionen

Sterne am pechschwarzen Himmel funkelten.

Auch die junge Frau war vom König und seiner Art,

wie er um ihre Gunst warb, angetan.

Später, als er sie um einen Tanz bat und seine Arme um sie legte,

war es auch um ihr Herz geschehen.

Nun verliebte auch sie sich in den König. Von nun an verbrachten

sie sehr viel Zeit miteinander und gingen gemeinsam auf Reisen.

Sie waren so glücklich, wie zwei liebende Menschen

es nur sein konnten. Und weil sie sich so sehr liebten,

schenkte die junge Frau dem König ihr Herz.

 Die Jahre vergingen und sie liebten einander so sehr,

dass sie nie mehr ohne den anderen sein wollten.

Doch dann kam der Tag, an dem die Königin

von der Liebschaft ihres Gemahls erfuhr. In ihrem Zorn unternahm

sie alles, um die beiden Liebenden zu trennen.

Als sie sich wieder einmal auf einer ihrer langen Reisen

befand, drohte sie dem König aus der Ferne, erst dann wieder

zurückzukehren, wenn die junge Frau die Insel verlassen hatte.

Der König litt sehr unter der Vorstellung, seine junge Geliebte

zu verlieren. Doch er wusste, dass er sich nun entweder für sie

oder die Königin und sein Königreich würde entscheiden müssen.

Weil ihm aber auch sein Königreich und seine Untertanen, die

ihn sehr verehrten, am Herzen lag, konnte er sich nicht überwinden,

eine Entscheidung zu treffen.

Er war sehr verzweifelt und das Herz war ihm schwer.

Und so kam es, dass die junge Frau schweren Herzens

eine Entscheidung für ihn traf.

Sie fasste den Entschluss, den König und die Insel, die in all den

Jahren zu ihrer zweiten Heimat geworden war, zu verlassen und

in ihre alte Heimat zurückzukehren.

Sie konnte in dem Augenblick nicht ahnen, dass ihr Herz von

nun an Stück für Stück aus ihrem Körper gerissen wurde.

Und je weiter sie sich von ihrem Geliebten und der Insel entfernte,

desto unerträglicher wurde der Schmerz.

Wie sollte sie ohne Herz weiterleben?

Eine große, tiefe Wunde begann sich aufzutun.

Der Schmerz saß so tief, dass die junge Frau daran zu zerbrechen drohte.

Doch der König weigerte sich, ihr das Herz zurückzugeben.

Er reiste ihr sogar nach und wollte sie zurückholen,

doch sie besaß keine Kraft mehr und sie fürchtete seine Gemahlin

würde ihnen das Leben wieder zur Hölle machen. Das wollte sie nicht

noch einmal erleben. Der König jedoch umklammerte ihr Herz so fest,

dass sie keine Luft mehr bekam und zu ersticken drohte.

Er wollte ohne ihr Herz nicht mehr leben.

Und so geschah es, dass er kaum in sein Königreich zurückgekehrt,

schließlich an seinem eigenen gebrochenen Herzen starb.

Als die junge Frau von seinem Tod erfuhr, drohte auch sie zu sterben,

weil er ihr Herz mit in den Tod genommen hatte.

Dort, wo einst ihr Herz war, hatte er eine große, schmerzende Wunde

hinterlassen, die nicht mehr heilen wollte.

Nun drohte auch sie an gebrochenem Herzen zu sterben, wären ihr nicht

gute Freunde im letzten Moment zu Hilfe geeilt.

Jeder von ihnen schenkte der jungen Frau ein kleines Stück

ihrer eigenen Herzen, sodass aus diesen kleinen Herzstücken

ein neues Herz zusammengeflickt werden konnte.

Und während sich ihr Herz, das sie an den König verloren hatte,

mit seiner Seele auf einer unendlichen Reise durch die

Ewigkeit befand, begann das geflickte Herz wieder ganz

zaghaft zu schlagen.

Die Jahre vergingen. Die vielen kleinen Flicken waren längst

zusammengewachsen und die Wunde verheilt. Nur eine große

Narbe ist zurückgeblieben, die sie für den Rest ihres Lebens

an ihre große Liebe erinnern würde.

Für die einstige Geliebte des Königs jedoch,

hatte ein neues Leben begonnen.

 

Und wenn das geflickte Herz nicht aufgehört hat zu schlagen,

so schlägt es auch noch heute.

 

 

©  Ursula Evelyn 1993


~*~

 

Schicksal ist, wenn sich zwei Menschen finden,

die sich nie gesucht haben.

(unbekannt)
 
~*~*~*~

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

8 Kommentare:

  1. was für ein schönes Märchen - ich kannte es nicht

    das Foto passt sehr gut dazu

    lg und einen schönen Abend
    wünscht gabi

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Schön, dass dir das Märchen gefällt, liebe Gabi. Das freut mich.
      Ein schönes Wochenende und liebe Grüße für Dich
      Laura

      Löschen
  2. Was für eine schöne Geschichte liebe Laura, sie berührt mein Herz.

    Einen schönen Abend und ein gemütliches Wochenende wünsche ich dir
    ♥ lichst
    Angelika

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke, liebe Angelika, auch Dir ein schönes, gemütliches Wochenende - sieht nach einen ersten, kleinen, ungemütlichen Herbststurm aus. Machen wir es uns im Haus gemütliche :o).
      Liebe Grüße für Dich
      Laura

      Löschen
  3. Eine feine kleine Geschichte. Du hast so einen ansprechenden Erzählstil. Was ist eigentlich aus Deinem Roman geworden?
    LG Christiane

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Auch Dir ein herzliches Dankeschön, dennoch denke ich dass ein Lektor die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde :o)).
      Mit zwei Hunden, einem zerstreuten Professor, einem Garten und den damit verbundenen Aufgaben, bleibt leider sehr wenig Zeit und Muße zum Schreiben. Bin schon froh, wenn es mir mal gelingt, ein Buch zu Ende zu lesen. Außerdem bin ich schon zu lange aus dem Geschehenen raus, so dass auch die Erinnerung immer mehr verblasst. Hinzukommt, dass sich mein Wortschatz auf einem Level befindet, der mir sehr zu denken gibt. Die kleinen, grauen Zellen geben nicht mehr DAS her, was ich mir wünschen würde. Konnte ich früher "frei" reden, muss ich heute lange überlegen,
      um ein Synonym für ein bestimmtes Wort zu finden. Mir scheint die Übung zu fehlen - oder liegt es etwa schon am Alter ??
      Hab ein schönes Wochenende im Kreise Deiner Vierbeiner nebst Herrn Dosi
      und sei lieb gegrüßt von Laura, die momentan darauf wartet, dass der Hefeteig für den Pflaumenkuchen "aufgeht".
      PS: Übrigens das Foto in Deinem Fotoblog ist ein Traum ! :o))

      Löschen
  4. Eine wunderschöne Geschichte über gebrochene Herzen und dennoch mit einem guten Ausgang ist das.
    Liebe Grüße
    und ein schönes Herbstwochenende
    Inge

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke auch Dir, liebe Inge. Ja, wer kennt sie nicht, all die Geschichten um und über die gebrochenen Herzen und wer hatte nicht selbst eins, wenn man unter Liebeskummer litt ?!
      Zum Glück heilt die Zeit tatsächlich alle Wunden - auch wenn die Erinnerung bleibt.
      Auch Dir ein schönes, gemütliches Wochenende und liebe Grüße
      Laura

      Löschen

Danke für Deinen Kommentar. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit für ein paar nette Worte nimmst.

Aufgrund der neuen Datenschutzrichtlinien (DSGVO) bitte ich folgendes zu beachten:
Mit der Nutzung der Kommentarfunktion dieser Webseite, die von Google zur Verfügung gestellt wird, erklärst Du Dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten auf dem Google- Server einverstanden.