Montag, 11. Mai 2015

Der Mann, der aus der Stadt kam

Er hatte geerbt, so hieß es, genug, um sich als Altersvorsorge ein Haus zu kaufen.
Er war Mitte fünfzig und alleinstehend.
Das Haus war nun sein Eigentum.
Niemand würde es ihm wieder wegnehmen können.
Er konnte seinem Lebensabend also ganz gelassen entgegensehen.
Es war eine ruhige Gegend in die er gezogen war.
Eine Gegend für Naturliebhaber und Naturfreunde.
 
 
 

Sein Haus war von einem dichten Wald umgeben.
Selbst auf seinem Grundstück wuchsen stolze Bäume,
Kiefern, Birken, Stechpalmen, die zu wundervollen Bäumen
herangewachsen waren und Tannen, von denen eine besonders durch
ihren schönen Wuchs hervorstach und mindestens so alt war wie er.
Kirschlorbeer und Rhododendren zierten das große Grundstück.
Mit Zeit und guter Pflege konnte man den Garten,
der inzwischen ziemlich verwildert war, zu einem idealen Ort
für den bevorstehenden Lebensabend gestalten.

 
 

Doch schon bald stellte sich heraus, dass Gartenpflege nicht sein Anliegen war.
Vielmehr schienen ihn die großen, stolzen Bäume zu interessieren,
zu denen er immer wieder hinaufschaute.
Was ihm dabei durch den Kopf ging, sollten die Nachbarn,
die keinerlei Lärm gewohnt waren, schon bald erfahren.
Denn eines schönen Tages betraten sechs Männer mit Kettensägen
das Grundstück und innerhalb von vier Tagen lagen alle Bäume,
in kleine Stücke zersägt, auf dem Grundstück herum.
Selbst die Rhododendren wurden nicht verschont.
Kein Baum, nicht ein einziger, war von den Kettensägen verschont geblieben.


 

Ein schrecklich trauriger Anblick.
Ein Anblick, bei dem so mancher Nachbarn nur den Kopf schütteln konnte.
Dem einen oder anderen stiegen sogar ein paar Tränen in die Augen.
Tag für Tag wurde nun gesägt, gehackt und gehämmert, bis das Haus,
an dessen Wände das Holz nun bis unter das Dach gestapelt wurde,
nicht mehr zu sehen war.
Über einen langen Zeitraum hinweg war er von nun an damit beschäftigt,
die toten Bäume zu zerhacken und zu zersägen.
Zurück blieb ein karges Grundstück mit Resten von dünneren Baumstämmen,
dürrem Geäst sowie Berge von Sägespänen und Mulch.
Die einzigen, die sich jetzt noch auf diesem Grundstück wohlfühlen konnten,
waren die vielen Mäuse, Spinnen und Mücken, die in den Holzschichten
ein neues Zuhause gefunden hatten und sich fröhlich vermehrten.


 
 
Ein ganzes Jahr hatte er die toten Baumstücke und Holzscheiten,
die vom vielen Regen inzwischen völlig durchnässt waren,
im Garten hin und her gekarrt,  - bis der Winter kam.
Jetzt dienten die toten, zerstückelten Bäume ihrem eigentlichen Zweck.
Sie wurden verfeuert.
Feucht wie sie waren, wurden sie in den Kamin gesteckt und verbrannt.
Haus und der Garten verschwanden jetzt in einer dichten Rauchwolke,
sodass die Nachbarn täglich von beißendem Qualm
 und üblem Geruch belästigt wurden.
Davon, dass das Holz erst zwei Jahre trocknen muss, bevor es verfeuert
werden kann, hatte er als Stadtmensch wohl noch nie gehört.
Nachbarn, die den Mann anfangs noch willkommen geheißen hatten,
gingen ihm jetzt aus dem Weg. Andere grüßten ihn gar nicht mehr.
Er hatte sich inzwischen mehr als unbeliebt gemacht, zumal er seinen Garten
nun auch noch zumüllte und jedes Mal, wenn er das Haus verließ
oder nach Hause kam, seine Haustür lautstark zuknallte.
Einige Monate später schien ihm das, was er mit seiner „Altersvorsorge“
angerichtet hatte, selbst nicht mehr zu gefallen.
Das Haus stand wieder zum Verkauf.
Auf die Frage, warum er alle Bäume gefällt habe, gab er zur Antwort,
er habe Angst gehabt, sie hätten ihm auf den Kopf fallen können.
Was mag ihn dann wohl veranlasst haben, in den Wald - und noch dazu
in ein Naturschutzgebiet zu ziehen?
 
Vielleicht zieht es ihn ja nun wieder zurück in die Häuserschluchten der Stadt.
Ob er wohl all die toten, zerstückelten Bäume dorthin mitnimmt ?

 
~*~
 
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3 Kommentare:

  1. ... es scheint, die Bäume hätten da auch nicht mehr viel ausrichten können. Auf den Kopf gefallen war er ohnehin schon. Das tut sicher kein Mensch mit wachem Verstand.

    Es schmerzt, so etwas miterleben zu müssen.

    Liebe Grüße
    von der Waldameise

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  2. Es schmerzt wirklich immer noch, liebe Waldameise, aber es gibt eben immer und überall nicht nur rücksichtslose Menschen, sondern auch solche, die obendrein den Frieden stören - leider !
    Von solchen Menschen kann man sich zurückziehen, nicht aber vor dem Schaden, den sie (überall) anrichten.

    Liebe Grüße für Dich
    sendet Dir Laura, die sich sehr, sehr gefreut hat, von Dir zu lesen. DANKE !

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    1. Da sagst du leider etwas sehr Wahres, liebe Laura. Die Dummheit und leider auch die Bosheit der Menschen kennt leider keine Grenzen.

      Wie beruhigend und schön, auch ab und an auf Gleichgesinnte zu treffen ...

      *umärmel*

      Löschen

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