Donnerstag, 11. Dezember 2014

Wir hatten nichts

Wenn sie das sagten, dann stimmte das. Denn diese Menschen hatten wirklich
nichts – oder nur sehr, sehr wenig.
Während wir in der Weihnachtszeit genug und reichlich zu essen und zu trinken
haben, es uns Zuhause in der warmen Stube so richtig kuschelig und gemütlich
machen können, mussten sie bei eisigem Frost hungern und frieren.
 
 
Es war mein allererstes Weihnachtsfest, von dem ich allerdings bewusst nichts
mitbekommen habe, denn ich war ja gerade mal drei Wochen alt. Doch meine
Eltern und Großeltern haben sich ihr Leben lang an dieses Weihnachtsfest erinnert.
Das Weihnachtsfest im Jahre 1946, an dem im Land Temperaturen von bis zu
minus 28 Grad herrschten. Dieser Winter war der kälteste Winter des 20. Jahrhunderts
mit strengem Frost und Schneefällen bis in den März hinein. In diesem „Hungerwinter“,
der auch als solcher in die Geschichte einging, war sogar der Rhein auf über 100 km
komplett zugefroren, sodass die gesamte Schifffahrt zum Erliegen kam.
Die Versorgung der Bevölkerung in diesem strengen Frostwinter war noch viel
schlimmer, als zu Kriegszeiten. Und so fuhren viele Menschen in überfüllten Zügen
aus den Städten hinaus aufs Land um bei Bauern ein paar Lebensmittel zu erbetteln.
Manche gingen auch zu Fuß oder fuhren mit dem Fahrrad, um ein paar Kartoffeln,
ein wenig Brot und ein bisschen Fleisch zu „hamstern“. Oft mussten sie dafür etwas
eintauschen, Schmuck, Wäsche, Kleidung, eben das, was sie noch besaßen oder
was ihnen vom Krieg geblieben war.
 
 
Wir drehen heute die Heizung auf oder zünden ein Feuer im Kamin an,
wenn es draußen kalt ist, stürmt, schneit oder regnet.
 
Die Menschen im Winter 1946/47 hatten nichts, womit sie hätten heizen können.
Kohle wurde von den vorbeifahrenden Zügen gestohlen und Holz im Wald
geschlagen. Alles, was nicht zwingend gebraucht wurde, wurde für ein bisschen
Wärme verbrannt. Das Land lag zum Teil noch in Schutt und Asche. Die Menschen
hatten sich noch nicht vom Krieg erholt, da drohte ihnen mit diesem arktischen
Winter bereits eine neue Katastrophe, die Hunderttausende von ihnen nicht
überlebten. Sie verhungerten oder erfroren, starben an Krätze, Tuberkulose oder
Lungenentzündung.
 
Im Januar 1947 rollte eine weitere Frostwelle über das Land, mit Temperaturen,
die nicht über minus 20 Grad anstiegen. Nun fuhren auch keine Züge mehr.
Es gab keine Winterkleidung und keine Decken. Die Versorgung der Bevölkerung
brach jetzt total zusammen. Weder gab es ausreichend Strom noch Wasser, da
der Strom zeitweise abgestellt wurde und die Wasserleitungen zufroren.
 
 
 
Während wir uns an Weihnachten einen guten Festtagsbraten, eine Gans oder
ein anderes köstliches Gericht schmecken lassen, waren Nahrungsmittel damals
ein kostbares Gut, welches man oft nur gegen Lebensmittelmarken eintauschen
konnte. Wer keine Lebensmittelmarken hatte, drohte zu verhungern. Und trotz
des unsagbaren, für uns unvorstellbaren Leids und Elends, sind die Menschen
nicht verzweifelt. Sie haben um ihr Überleben gekämpft und die Hoffnung nicht
aufgegeben.
Ihnen, unseren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben wir es zu verdanken,
dass es uns heute so gut geht. Denn sie haben dieses Land unter den widrigsten
Umständen und Bedingungen wieder aufgebaut.
 
 
 
 
Vielleicht sollten wir öfter daran denken, welches Leid diese Menschen, unsere
Eltern, Großeltern und Urgroßeltern durchlebt haben, wenn uns nach Jammern
und Klagen zumute ist, weil wir uns den einen oder anderen Wunsch zu
Weihnachten nicht erfüllen können und uns in etwas mehr Bescheidenheit und
Demut üben.
Wir, die wir im Überfluss leben und als „Wegwerfgesellschaft“
in die Geschichte eingehen werden.
 
Zünden wir ihnen, unseren Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und allen Menschen,
die in dieser schrecklichen Zeit um ihr Überleben gekämpft haben oder ihr
Leben verloren haben, zu Weihnachten eine Kerze an !
 
~*~
 
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4 Kommentare:

  1. Bescheidenheit und Demut ist in der heutigen Zeit wohl total out. Wer bewusst verzichtet ist ein Freak oder gehört einer Sekte an. Wenn ich mich das so sagen höre, hört sich das ziemlich krass an. Man muss wohl differenzieren. Jetzt, wo langsam die Generation derer ausstirbt, die noch aus eigener Erfahrung berichten könnten von den schlechten Zeiten im und nach dem Krieg wird das alles nur noch zu nicht greifbarer Historie. Wie eine Schlacht aus dem Geschichtsbuch. Worte, aus denen man das Leid des einzelnen nicht herauslesen kann.

    Ich krame gerade in alten Fotos und bruchstückhaft kamen Erzählungen von meinen Eltern und Schwiegereltern hoch - aus dem Krieg und den schweren Zeiten danach. Die Schwiegereltern kamen aus Bessarabien heim ins Reich.Schwiegermutter berichtete vom Neuanfang auf einem Hof in Polen, dann die Flucht vor den herannahenden Russen und der Treck nach Deutschland. Hier nochmal ein Neuanfang, bei absolut Null. Vom eigenen Acker zu Magd und Knecht beim Großbauern. Schwiegervater wurde eingezogen und schwer verwundet.
    Meine Mutter hatte Glück, fand nach dem Krieg bei den Amerikanern Arbeit in der Küche. Wo auch für die Familie daheim noch etwas abfiel.
    Mein Vater war auf dem Weg nach Stalingrad, als er schwer erkrankte und ins Spital kam. Später geriet er in Kriegsgefangenschaft, hat lange Zeit in Kanada verbracht - allerdings hat es ihm dort trotz Gefangenschaft wohl gut gefallen. Er schwärmte Zeit seines Lebens von dem Land. Trotzdem haben ihm die Erlebnisse aus seiner Zeit als Soldat wohl sehr zugesetzt - er sprach nicht darüber. Seine Mutter litt an Depressionen, wurde während der Nazizeit nach Polen verbracht und starb dort an Gift. So hat wohl jede Familie ihre eigene Geschichte. Wird das alles bald in Vergessenheit geraten? Ist das neueste I-Pod wichtiger als die Besinnung auf Werte, die unsere Eltern noch zu schätzen wussten? Wenn ich meine Nichten und Neffen anschaue würde ich fast sagen "ja". Aber vielleicht sind die auch nur die Ausnahme.

    Und muss ich gestehen, dass mir Heizung und "Warmwasser aus Wand" wichtig ist. Wohl auch, weil ich sonst gerne kränklich werde.

    LG Christiane
    die auch mit Lichtlein in dieser Zeit an alle denkt, die es schwer hatten damals und die, die ihr Leben verloren haben.

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  2. Es ist genau so, wie Du es beschreibst, liebe Christiane. Die Wahrheit ist immer krass und kaum jemand kann sie ertragen. Eine Spaß- und Konsumgesellschaft verdrängt Probleme gerne mal. Und die "schlechten Zeiten" sind doch schon so lange her ! Es darf aber nicht vergessen werden, was diese Menschen erlitten haben. Werte bestehen heute aus materiellen Dingen. Viele kennen die Bedeutung des Wortes gar nicht mehr.

    Beim Lesen dessen, was Du über Deine Familie schreibst, läuft mir auch jetzt wieder ein kalter Schauer über den Rücken und ich habe Tränen in den Augen. Es ist so grausam und unmenschlich, was diese Menschen durchmachen mussten.

    Die I-Pod-Generation hat nie wirkliches Leid erfahren. Sie können gar nicht nachvollziehen, was es bedeutet -
    absolut nichts zu essen und zu trinken zu haben, keinen Strom, kein Wasser, keine Heizung und im Müll nach Essbarem zu suchen ! Sicher ist, dass diese Generation die Konsequenzen ihres Handelns tragen muss.

    Auf Heizung und "Warmwasser aus der Wand" möchte ich auch nicht mehr verzichten - obwohl ich die Ofenwärme wirklich vorziehe, da diese Wärme wirklich sehr viel angenehmer ist.
    Vielleicht solltest Du auch mal über ein Öfchen nachdenken, da es außerdem auch noch günstiger ist, mit Holz zu heizen.
    Liebe Christiane, ich danke Dir sehr für Deine Gedanken und dass Du so ausführlich über das Leid Deiner Familie während der Kriegsjahre und den schlechten Zeiten danach, geschrieben hast. Ich wünschte, es gäbe mehr Blogs in denen das Zeitgeschehen mehr Beachtung findet - aber vielleicht ist es ja auch bezeichnend für die jetzige Zeit, dass in den Blogs nur Positives berichtet wird, weil sich die meisten vor den alltäglichen Problemen und der Realität in die Bloggerwelt flüchten, um sich selbst eine heile Welt vorzutäuschen.

    Wie schön, dass auch Du wieder ein Lichtlein anzündest und ins Fenster stellst. Dann sind wir ja schon zu zweit ;o).

    Danke nochmals für Deinen Kommentar, liebe Christiane. Ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit dafür genommen hast.
    Hab einen guten Tag, halt Dich gut fest bei dem Sturm und sei ganz herzlich gegrüßt von Laura, die sich jetzt auf die Couch verkrümelt und wieder in ein Märchen vertieft.
    Ein gemütliches 3. Adventswochenende wünsch ich Dir und den Deinen noch. Genieße es !!

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  3. Oh, wie gemütlich es bei dir ist, liebe Laura. Ich kann es mir richtig gut vorstellen, wenn du in deinem Sessel sitzt und bei Kerzenschein Ave Maria lauschst ...

    Die kleinen Freuden der Menschen, als sie nichts hatten, haben mich schon immer beeindruckt. Eine zeitlang habe ich die "Geschichten am Kamin" gesammelt. In diesen Büchern kannst du solche Erzählungen en masse finden. Es ist faszinierend und traurig, dass dieser Zauber verloren ging. Der Zauber für die kleinen Dinge, für kleine Wunder, die soviel unermessliche Freude auslösen.
    Sie tun mir leid, die Menschen, die jedem erfüllten Wunsch zwei neue anhängen und auf der Jagd nach dem noch größerem Kick das Leben verlernen. Sie sind zu bedauern.

    Aber bei dir habe ich da keine Bange, liebe Laura, da du auch ein aufmerksamer und dankbarer Mensch bist.
    In diesem Sinne wünsche ich dir und deinen Lieben von Herzen eine besinnliche, schöne Weihnachtszeit und viele behagliche Stunden ...

    mit lieben Grüßen
    von der Waldameise

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    1. Danke, liebe Waldameise, ich danke Dir sehr !
      Woher weißt Du, dass ich dem Ave Maria lausche - ???? Hörst Du es bis zu Dir hin ???
      Da ist es wieder - dieses Gänsehautfeeling.

      DANKE und alles Liebe für Dich !
      Herzliche Grüße sendet Dir Laura, die immer noch an Wunder glaubt.

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